Keine Antwort ist auch eine Antwort

Parteienbefragung zur Kommunalwahl 2006

Sehr geehrte Damen und Herren,
Die ROSA LÜSTE, gegründet 1978, erfüllt seit ihrer Gründung wichtige Aufgaben für die Lesben und Schwulen in Wiesbaden und überregional. Mehr über uns erfahren Sie unter http://www.rosalueste.de

Sie bzw. Ihre Partei/Organisation kandidieren bei der Wiesbadener Stadtverordnetenwahl am 26. März 2006.

Als ortsansässige Lesben- und Schwulengruppe interessiert uns daher Ihre Auffassung zu den nachstehenden Fragen.

Ihre Antworten werden wir in Wiesbaden als Entscheidungshilfe nicht nur für lesbische und schwule BürgerInnen dieser Stadt breit veröffentlichen.

Wir bitten Sie, uns Ihre Antworten bis zum 20.02. zuzusenden.
 
Mit freundlichen Grüßen
Für die ROSA LÜSTE
Joachim Schönert
 
 
1. Allgemeine Fragen
In Baden-Württemberg wird die Gesinnung muslimischer Anwärter der deutschen Staatsbürgerschaft u.a. durch folgende Fragen getestet:
29. Stellen Sie sich vor, Ihr volljähriger Sohn kommt zu Ihnen und erklärt, er sei homosexuell und möchte gerne mit einem anderen Mann zusammen leben. Wie reagieren Sie?
30. In Deutschland haben sich verschiedene Politiker öffentlich als homosexuell bekannt. Was halten Sie davon, dass in Deutschland Homosexuelle öffentliche Ämter bekleiden?
 
Aus diesem Gesinnungstest leiten sich für uns an Sie folgende Fragen ab:
1.Wie bewerten Sie, dass einzelne Bundesländer Verfassungsklage gegen eine gesetzlich geschützte Verpartnerung homosexueller Paare eingereicht hatten?
 
2. Wie bewerten Sie die Verfassungsklage Bayerns gegen die Stiefkindadoption für homosexuelle Paare?

3. Was denken Sie über ein Anti-Diskriminierungsgesetz, das u.a. auch die Diskriminierung homosexueller Menschen unter Strafandrohung stellt?
 
4. Wie bewerten Sie die öffentlichen großen jährlichen Paraden und Feiern homosexueller Menschen zum Christopher-Street-Day?
 
5. Welche öffentliche Form der Entschuldigung und Distanzierung halten Sie von den Parteien für angemessen, die in der jungen Bundesrepublik Deutschland die Bestrafung für männliche homosexueller Handlungen nach dem von den Nazis verschärften § 175 StGB veranlasst haben?
 
2. Fragen zur Kommunalpolitik
Für homosexuelle Menschen gibt es in vielen Städten öffentlich geförderte Einrichtungen, in denen die kulturellen und sozialen Belange erarbeitet werden können, denn homosexuelle Menschen sind ja auch SteuerzahlerInnen.
 
1. Sind Sie oder Ihre Partei für die Unterstützung und öffentliche Förderung eines Lesben- und Schwulenzentrums in Wiesbaden, in dem kulturelle und soziale Belange von Lesben und Schwulen erarbeitet werden können?
 
2. Sind Sie gegebenenfalls bereit, für die Durchführung eines Christopher-Street-Days in Wiesbaden öffentliche Unterstützung zu bewilligen?
 
3. Sind Sie für einen Gedenkstein, an dem der homosexuellen Opfer der deutschen Justiz (einschließlich der Opfer in der Nazi-Zeit) gedacht werden kann?
 Um was ging es uns bei der Befragung der Parteien?
Bei sehr verschiedenen Problemstellungen ist es wichtig, in der Stadt, in der wir wohnen, unter den Stadtverordneten Fürsprecher zu finden.
Eine Kommunalwahl scheint uns daher der geeignete Zeitpunkt zu sein, die Kandidierenden zu befragen, wie sie grundsätzlich zu homosexuellen Menschen stehen und ob wir mit ihrer Unterstützung rechnen können, falls wir das eine oder andere Projekt in Angriff nehmen oder wenn Probleme auftauchen.
Wir haben deshalb allgemeine Fragen gestellt, bei denen sich die Parteien gemäß ihrer politischen Ausrichtung äußern können. Wir haben schließlich nicht vor, eine Organisation zu wählen, denen ihre lesbischen und schwulen Mitbürger völlig egal sind oder die uns gegenüber gar eine feindselige Haltung einnehmen.
Eine Kommune kann ihre Vereine und Mitbürger im wesentlichen mittels ihrer Behörden unterstützen, die an Gesetze gebunden sich und die in einem gewissen Rahmen Beschlüsse der Stadtverordneten auszuführen haben. Die wichtigste Hilfe ist aber die öffentliche Förderung für Projekte, die ohne öffentliche Hilfe nicht zustande kommen könnten. An der Zustimmung für solche Projekte kann sich zeigen, was die Lesben und Schwulen MitbürgerInnen ihrer Stadt und der Stadtverordneten Wert sind.
 
Zu den einzelnen Fragen:
Wenn man Vereine und Initiativen öffentlich unterstützt, auch von unseren Steuergeldern, dann könnte man annehemn, dass ein Lesben- und Schwulenzwentrum, das von Gruppen nicht ohne öffentliche Hilfe getragen werden kann, ein wichtiger Ort ist, an dem sich ein lesbisch-schwules Kulturleben entwickeln kann und die sozialen Belange von Lesben und Schwulen ausgetauschet bzw. erst ein mal erarbeitet.werden können.
 
Die Unterstützung des CSDs, des internationalen lesbisch-schwulen Freiheitstages, ist ein wichtiger Bezugspunkt, ob die entsprechende Organisation gewillt ist, uns so zu akzeptieren, wie wir sind und welche Ausdrucksformen unser Stolz gefunden hat, oder ob man uns am liebsten so "normal" haben möchte, dass wir gar nicht als Lesben und Schwule in Erscheinung treten.
 
Homosexuelle Menschen sind in der Geschichte unseres Landes zu Opfern von Diskriminierung und Verfolgung geworden. Oft war es der Staat selber (und die hinter der Verfolgung stehenden Parteien), zum Beispiel mit dem § 175 StGB, der homosexuelle Männer seit der Reichsgründung 1871 wegen ihrer Sexualität bestrafte, statt sie vor Verfolgung zu beschützen. Der Opfer dieser staatlichen Verfolgung wollen nicht nur homosexuelle Menschen gedenken. dazu ist ein öffentlicher Ort notwendig.
 
Auf unsere Fragen erhielten wir als Erstes die folgende Antwort:

Die Bürgerliste Wiesbaden nach eigenen Angaben:

"In der Bürgerliste Wiesbaden (BLW) haben sich Mennschen unsrer Stadt zusammengeschlossen, die mit der Politik der Rathausparteien in wesentlichen Punkten nicht einverstanden sind. Sie sind der Meinung, dass etwas getan werden muss, um weiteren Schaden von der Stadt abzuwenden (...)
Näheres unter http://www.buergerlistewiesbaden.de
Wir halten diese Antwort ganz allgemein für recht bezeichnend. Der Verfasser hat herausgefunden, dass die Homepage für das Sozialforum, in dem wir Mitglied sind, in dankenswerter Weise von der Linken Liste erstellt wurde. Na und?
Leider hat er sich aber nicht die Mühe gemacht, die Homepage der ROSA LÜSTE zu besuchen, denn dort haben wir eindeutig unsere parteipolitische Unabhängigkeit dargestellt und hinreichend gesellschaftspolitisch begründet.
So werden wir von ihm ungerechtfertigt angegriffen und andererseits in unseren Anliegen nicht verstanden.
Letztlich: die "gesellschaftliche Normalität", an der uns angeblich gelegen ist, geht von heterosexuellen Partnerschaften aus, diese Normalität hat nicht viel mit den Realitäten unseres Lebens zu tun.
Zu dieser Beantwortung unserer Fragen: 
1. - Erfreut und überrascht nahmen wir das erste Schreiben zur Kenntnis, das uns erreichte. Es war nicht von einer der 4 Parteien, die gemeinsam in allen Gremien zusammen regieren, sondern von einer kleinen "Liste unabhängiger Bürger", die als neue Kraft in den Stadtrat einziehen will. Als wir das Schreiben jedoch lasen, wurden unsere Gesichter länger und länger. Der Verfasser des Schreibens stellte fest, dass seine Organisation dazu keine Meinung haben könne.
 
2. - Statt einiger Zusagen im kommunalen Bereich lasen wir zwei Kritikpunkte. Man unterstellte uns, dass wir parteipolitisch schon festgelegt seien, weil wir im Sozialforum mitmachen würden. In der Homepage des Sozialforums kann jeder nachlesen, zu welchen Zweck es eingerichtet wurde, die Plattform bildet die Grundlage des Netzwerkes von Einzelpersonen, Gruppen, Organisationen Initiativen.
 
3. - Die einzelnen TeilnehmerInnen dieses Netzwerkes leisten ihren jeweiligen Beitrag, und so sind wir froh, dass dem Sozialforum die Linke Liste eine Internetpräsenz eingerichtet hat. Daraus lassen sich keine Rückschlüsse über die verschiedenen TeilnehmerInnen ziehen.
 
4. - Leider fanden wir im Schreiben nichts über ein Lesben- und Schwulenzentrum oder einen Gedenkstein, lediglich Kritik an den Ausdrucksformen mancher Gays beim CSD. Da meint er, uns belehren zu müssen, wie wir am besten "eine gesellschaftliche Normalität" erreichen.
 
5. - Die heutzutage unter Jugendlichen vorzufindenen exhibitionistischen Ausdruckformen, beispielweise bei der Love-Parade in Berlin, haben nichts mit der jeweiligen sexuellen Identität zu tun. Und ob sich seine Kritik an der "Spaßgesellschaft" auch z.B. auf das Wiesbadener Wilhelmstraßenfest erstreckt, sei dahingestellt.
 
6. - Immerhin werden uns vom Autor des Schreibens Lebenspartnerschaften zugestanden, die rechtlich abgesichert sein müssen, aber ob mit der Ehe gleichgestellt, schreibt er nicht.
 
Dann erreichte uns die folgende Antwort:
 
 
 
 
 
 
Linke Liste Wiesbaden 
Die Linke Liste in Wiesbaden ist ein Zusammenschluss der Wiesbadener Ortsgruppe der WASG (linke Sozialdemokraten), der Wiesbadener Ortsgruppe der Partei Die Linke PDS und vielen Parteilosen. Näheres unter http://www.linke-liste-wiesbaden.de
 
Antworten zu
Fragen an die kandidierenden Parteien/Listen zur Stadtverordnetenwahl am 26. März 2006:
 
1. Allgemeine Fragen
in Bezug auf den Fragebogen in Baden-Württemberg
1.1. Wie bewerten Sie, dass einzelne Bundesländer Verfassungsklage gegen eine gesetzlich geschützte Verpartnerung homosexueller Paare eingereicht hatten?
Es handelt sich um den Versuch, schwulen- und lesbenfeindliches Wählerklientel zu bedienen oder mit anderen Worten: beim "rechten Stammtisch" zu punkten.
 
1.2. Wie bewerten Sie die Verfassungsklage Bayerns gegen die Stiefkindadoption für homosexuelle Paare?
(siehe Antwort zu 1.1.). Bei der Adoption sollte es keine Diskriminierung hinsichtlich des Geschlechtes derjenigen, die adoptieren, bzw. derjenigen, die adoptiert werden, geben.
 
1.3. Was denken Sie über ein Anti-Diskriminierungsgesetz, das u.a. auch die Diskriminierung homosexueller Menschen untersagt?
Der Verfassungsgrundsatz des Artikel 3 Grundgesetz bedarf weiterer Konkretisierung, damit er in der Realität größere Wirkung erlangt. Außerdem könnten über die in Artikel 3 genannten Diskriminierungs"merkmale" (Herkunft, Sprache, religiöse oder politische Anschauung ) hinaus weitere Merkmale (Homo-/Heterosexualität u. a.) einbezogen werden. Diese Funktion kann sehr gut ein Anti-Diskriminierungsgesetz erfüllen.
 
1.4. Wie bewerten Sie die öffentlichen großen jährlichen Paraden und Feiern homosexueller Menschen zum Christopher-Street-Day?
Die Paraden drücken aus, dass es legitim ist, sich zu seiner/ihrer sexuellen Orientierung zu bekennen, dass es keinen akzeptablen Grund gibt, sich dieser zu schämen. Außerdem kann bei entsprechender Beteiligung deutlich werden, dass es nicht nur einige wenige "Exemplare" Menschen sind, die schwul oder lesbisch sind.
Wie jede gute Demo können die Paraden das Solidaritätsgefühl stärken.
 
1.5. Welche öffentliche Form der Entschuldigung und Distanzierung halten Sie für die Parteien für angemessen, die in der jungen Bundesrepublik Deutschland die Bestrafung für männliche homosexuelle Handlungen nach dem von den Nazis verschärften § 175 StGB veranlasst haben?
Ganz offiziell entschuldigen sollte sich (auch) die Staatsmacht (unabhängig davon, welche Parteien den verschärften § 175 StGB mitgetragen haben). Wer durch die Anwendung des § 175 Unrecht erlitten hat, hat Anspruch auf "Wiedergutmachung" und Rehabilitierung. Leider gibt es auch andere Opfergruppen von Diskriminierung in der Geschichte der Bundesrepublik, die trotz höchstrichterlich festgestelltem Unrecht, keine Wiedergutmachung erhielten (z.B. Berufsverbotsopfer).
:
2. Fragen zur Kommunalpolitik in Wiesbaden
2.1. Sind Sie oder Ihre Partei für die Unterstützung und öffentliche Förderung eines Lesben- und Schwulenzentrums in Wiesbaden, in dem kulturelle und soziale Belange von Lesben und Schwulen erarbeitet werden können?
Mit dieser Frage wurde die Wählergruppe Linke Liste Wiesbaden bisher noch nicht konfrontiert.
Ich persönlich bin dafür.
 
2.2. Sind Sie gegebenenfalls bereit, für die Durchführung eines Christopher-Street-Days in Wiesbaden öffentliche Unterstützung zu bewilligen?
Ja, zumindest als Anschubfinanzierung. Möglicherweise gibt es ja dann bei Wiederholungen Sponsor/innen.
 
2.3. Sind Sie für einen Gedenkstein, an dem der homosexuellen Opfer der deutschen Justiz
(einschließlich der Opfer in der Nazi-Zeit) gedacht werden kann?
Es sollte zwischen der Diskriminierung und Verfolgung durch die bundesdeutsche Justiz und der faschistischen Politik des Massenmordes in KZs deutlich differenziert werden. Dies gilt auch bei anderen Gruppen, die sowohl durch den Faschismus als auch in der Bundesrepublik diskriminiert und verfolgt wurden (z.B. Sintis und Kommunisten /Kommunistinnen).
Gedenksteine halte ich eher für besondere Orte angebracht, die eine enge Verbindung zur Verfolgung haben (z.B. Gefängnisse, KZs, vielleicht auch Treffpunkte, die geschlossen/verboten wurden oder Wirkungsstätten von homosexuellen Persönlichkeiten). Ansonsten halte ich "interaktive" Gedenkstätte für sinnvoller, die einerseits würdevoll der Opfer gedenken und andererseits Auseinandersetzung ermöglichen für Besucher/innen (z.B. Schulklassen).
 
Hartmut Bohrer
- Stadtverordneter, Linke Liste Wiesbaden -
Zu dieser Beantwortung unserer Fragen:
Wir freuen uns, dass der (bisher einzige) Stadtverordnete Bohrer der Linken Liste alle unsere Fragen ausführlich beantwortet hat und nehmen zu seinen Antworten wie folgt Stellung:
1. allgemeine Fragen
Hier ging es uns um eine grundsätzliche Einschätzung der uns direkt betreffenden Bereiche der aktuellen Politik.
zur Antwort 1.1.: Sicher geht es um Propaganda, aber die denken auch selber so. Und daher geht es auch in diesem Zusammenhang auch um die Lebensrealität homosexueller Menschen. In Bezug auf die Fragen an einbürgerungswillige muslimische Menschen verlangt Baden-Württemberg z.B. die Akzeptanz eines schwulen Sohnes, doch es müssen sich z.B. dort in einigen Landkreisen heiratswillige Schwule und Lesben im KfZ-Zulassungsamt das Ja-Wort geben. Der erzwungene Rücktritt von Sozialminister Renner (CDU), der als Schirmherr des CSD Stuttgart 2005 für die Wahl-Familie Homosexueller eintrat, ist eines von vielen beredten Beispielen.
zur Antwort 1.2.: Das stimmt mit unsrer Auffassung überein.
zur Antwort 1.3.: Das stimmt auch mit unserer Auffassung überein.
zur Antwort 1.4.: Mit dieser Antwort können wir leben, obwohl sich das Politische der CSD-Paraden erst beim zweiten Hinschauen zeigt.
zur Antwort 1.5.: der § 175 RStGB (später StGB) stammt aus dem Norddeutschen Bund und wurde bei Reichsgründung 1871 übernommen. Er galt in immer wieder veränderter Form bis 1994 und wurde erst bei der Rechtsangleichung zwischen Der BRD und der DDR auch im Westen abgeschafft, weil es ihn in der DDR nicht mehr gab. Nur in 12 Jahre dieser langen Geschichte galt der 175 unter den Nazis.
2. Fragen zur Kommunalpolitik
Mit welchen Abgeordneten können wir zu den einzelnen Bereichen rechnen?
zur Antwort 2.1.:
Ein Lesben- und Schwulenzentrum sollte in jeder größeren Stadt existieren, auch wenn es sich nicht wirtschaftlich tragen kann, siehe in Frankfurt und in Mainz. Wenn das für uns spruchreif wird, muss das mit den entsprechenden Stellen abgesprochen werden und wir werden dann hoffentlich von vielen Abgeordneten unterstützt.
zur Antwort 2.2.:
Die ROSA LÜSTE hat 6 mal in Wiesbaden einen CSD organisiert, danach haben andere Lesben und Schwule in Wiesbaden 4 mal einen CSD organisiert. Ohne Anschub wird es schwer sein, den Wiesbadener CSD erneut aufleben zu lassen.
zur Antwort 2.3.: das Bundesverfassungsgericht verkündete 1951, der von den Nazis verschärfte § 175 StGB sei mit dem Grundgesetz vereinbar. Der Bundesgerichtshof urteilte, er habe kein nationalsozialistisches Gedankengut. In der jungen Bundesrepublik unter der damaligen CDU/CSU/FDP-Regierung wurden mehr Menschen mit dem § 175 StGB verurteilt als in der ganzen Nazi-Zeit, freilich mit anderen Folgen. Ein Gedenkort für uns muss uns und anderen die Möglichkeit geben, auch z.B. der Opfer der Justiz der Bundesrepublik Deutschland zu gedenken.
(Hierzu als empfehlenswerte Arbeiten: http://www.lust.zeitschrift.de im Artikelarchiv, Rubrik Wissenschaft: Die deutsche Homo-Politik, Rubrik Lesben- und Schwulenpolitik: Über den Hundertfünfundsiebziger)
Im großen und ganzen fühlen wir uns in den Antworten von Hartmut Bohrer verstanden. Über die Einzelheiten werden wir noch zu diskutieren haben.
 
 SPD Wiesbaden: Keine Antwort ist auch eine Antwort  Das ist sehr bedauerlich, weil wir durchaus gute Erfahrungen mit z.B. dem ehemaligen Oberbürgermeister Achim Exner gemacht haben.
 CDU Wiesbaden: Keine Antwort ist auch eine Antwort  Das ist sehr interessant, wo doch ein offen schwuler CDUler einen großen Wirbel in der Szene um sich und seine Aktivitäten gemacht hat.
 Bü90/Die Grünen Wiesbaden. Leider eine verspätete Antwort
 Eine Antwort traf am am Donnerstag, 16.03.06 ein.
(Siehe unten)
 FDP Wiesbaden: Keine Antwort ist auch eine Antwort Das ist uns wohl bekannt, Lesben und Schwule in der FDP treten nicht immer offen als solche auf, und Outing betreiben wir nicht.
 
Zur Umfrage des Sozialforums:
Auch das Sozialforum Wiesbaden hat nur Antworten von den beiden kleinen Listen erhalten, die uns geantwortet haben. Näheres dazu erfahrt Ihr unter http://www.sozialforum-wiesbaden.de
 
Der Status der kleinen Listen
Die Änderung des Wahlverfahrens für Kommunalwahlen in Hessen durch die CDU, wurde allgemein als Erweiterung der demokratischen Möglichkeiten der Bürger in den Gemeinden gefeiert. Immerhin ist dadurch die 5%-Hürde weggefallen. Wenn die Stimmen für einen Sitz ausreichten, sind auch neue Fraktionen entstanden. Neue Listen sind damals in die Stadtverordnetenversammlung der großen Städte eingezogen, besonders in Frankfurt und Wiesbaden. Da diese Listen im allgemeinen eher linke Politik repräsentierten, waren sie wohl ein Ärgernis der etablierten Parteien, die bisher alles unter sich aushandeln konnten. Darauf reagierte die hessische Landesregierung mit ihrer absoluten CDU-Mehrheit, und so wurden die demokratischen Möglichkeiten wieder deutlich zurückgenommen.
Die Hessische Gemeindeordnung wurde 2005 mit der absoluten Mehrheit der Union geändert, die SPD hat sich nicht dagegen gewehrt. Allerdings haben sich FDP und Grüne (vergeblich) gewehrt, weil sie in einigen Gemeinden auch davon betroffen sein können. Ab dem 1. April 2006 (wenn die Wahlergebnisse der Kommunalwahl wirksam werden) tritt die neue Regelung in Kraft.
Parteien und Listen, die mit nur einem Verordneten im Stadtrat vertreten sind, bilden dann keine Fraktion mehr. Das bedeutet, kein Büro, keine Erstattung der Auslagen und viele andere Einschränkungen ihrer Arbeitsmöglichkeiten. In manchen kleinen Gemeinden sind für einen Abgeordneten bis zu 10 % der Wählerstimmen nötig.. Dort sind dann auch FDP und Grüne betroffen, CDU und SPD sind wieder unter sich.

 Unser Aufruf an unsere Szene:

Wir rufen die lesbischen und schwulen WählerInnen in Wiesbaden sowie ihre FreundInnen und Verbündeten auf:
- Stärkt die politischen Kräfte in unserer Gemeinde, die bei unseren emanzipatorischen Anstrengungen eine Hilfe sein können!
 
- Stärkt die kleinen Listen, damit die etablierten Parteien nicht ohne Opposition sind!
 
Versspäteter Nachtrag durch die Partei Bündnis90/DIE GRÜNEN:
 
http://www.gruene-wiesbaden.de
 
Bündnis 90/DIE GRÜNEN
Kreisverband Wiesbaden 
 
 
Rosa Lüste
Postfach 5406

65044 Wiesbaden
 
Wiesbaden, den 16.03.2006
 
Ihre Parteibefragung zur Kommunalwahl 2006
 
Lieber Joachim Schönert,
liebe Freundinnen und Freunde,
sehr geehrte Damen und Herren,
 
zunächst bitten wir die verspätete Beantwortung Ihrer Fragen zu entschuldigen, aber Ihr Schreiben war zwischen Kreisverband und der GRÜNEn Rathausfraktion hängen geblieben.
 
Falls Sie die folgenden Antworten noch bei der Veröffentlichung auf Ihrer Homepage berücksichtigen könnten, wären wir Ihnen dankbar.
 
Zu Ihren allgemeinen Fragen:
Zu 1. Wie bewerten Sie, dass einzelne Bundesländer Verfassungsklage gegen eine ge-setzlich geschützte Verpartnerung homosexueller Paare eingereicht haben?
Bündnis 90/DIE GRÜNEN haben sich stets mit Nachdruck dafür stark gemacht, dass eingetragene Partnerschaften von schwulen und lesbischen Paaren ermöglicht werden und dies auch zu Zeiten der rot-GRÜNEN Bundesregierung durchgesetzt.
Dieses Rechtsinstitut ermöglicht einen wichtigen Schritt hin zu mehr Gleichstellung und entspricht unserer Vorstellung, dass niemand wegen seiner sexuellen Orientierung benachteiligt werden darf. Dass von einzelnen Bundesländern versucht wird, diesen Schritt in Form einer Verfassungsklage wieder rückgängig zu machen, wird von uns abgelehnt.
 
Zu 2. Wie bewerten Sie die Verfassungsklage Bayerns gegen die Stiefkindadoption für homosexuelle Paare?
Für das Kindeswohl ist es wichtig, in einem Umfeld mit stabilen Bezugspersonen auf-zuwachsen und es ist gerade nicht entscheidend, welche sexuelle Orientierung diese Bezugspersonen haben. Aus früheren heterosexuellen Verbindungen hervorgegangene Kinder, sind - wie verschiedene Untersuchungen belegen - in Familien mit einem leiblichen Elternteil und nichtleiblichen Elternteil gut aufgehoben und dies insbesondere dann, wenn die homosexuelle Paare nach ihrem Coming-Out ihre sexuelle Orientierung selbstbewusst und selbstverständlich leben. Sachliche Gründe, die dafür sprächen, schwule und lesbische Paare hier anders zu behandeln als heterosexuelle Paare, gibt es aus GRÜNER Sicht nicht.
 
Zu 3. Was denken sie über ein Anti-Diskriminierungsgesetz, das u. a. die Diskriminierung homosexueller Menschen untersagt?
Bündnis 90/DIE GRÜNEN halten ein solches Gesetz für unverzichtbar, um der leider immer noch bestehenden Diskriminierung schwuler und lesbischer Menschen in zahllosen Lebensbereichen und Arbeitsfeldern entgegenwirken zu können.
 
Zu 4. Wie bewerten sie die öffentlich großen jährlichen Paraden und Feiern homosexueller Menschen zum Christopher-Street-Day?
Gerade Großveranstaltungen, die dem Lebensgefühl von homosexuellen Menschen öffentlich Ausdruck verleihen, leisten einen wichtigen Beitrag zu Akzeptanz dieser Bevölkerungsgruppen. Für junge homosexuelle Menschen, denen ein Coming-Out angesichts ihres persönlichen Umfeldes schwer fällt, haben die Veranstaltungen eine wichtige Vorbildfunktion, da sie fassbar machen, dass schwules und lesbisches Leben nichts ist, dessen man sich schämen muss, sondern sie verdeutlichen, dass man(n) und Frau dieses selbstbewusst leben kann.
 
Zu 5. Welche öffentliche Form der Entschuldigung und Distanzierung halten Sie für die Parteien für angemessen, die in der jungen Bundesrepublik Deutschland die Bestrafung für männliche homosexuelle Handlungen nach dem von den Nazis verschärften § 175 StGB veranlasst haben?
Bis zur Abschaffung des unsäglichen § 175 StGB hat dieser viele unschuldige Menschen kriminalisiert, eine unerträgliche Atmosphäre der Angst verbreitet und homophobe Vorurteile zur gesetzlichen Strafnorm erhoben. Umso wichtiger ist, dass er zu Fall gebracht werden konnte. Leider hat dies die ungerechtfertigte Gleichsetzung von Homosexualität mit Krankheit und Kriminalität keineswegs aus allen Köpfen verbannt. Deshalb bleibt die öffentliche Auseinandersetzung mit der Geschichte des § 175 StGB und der Verantwortung einzelner Parteien und Institutionen eine wichtige Aufgabe. Mit Nachdenklichkeit und der Bereitschaft, begangene Fehler einzuräumen, könnten die damals beteiligten Parteien erheblich dazu beitragen, im Hier und Heute für weiteres Umdenken zu sorgen. Ob dies in Form einer Entschuldigung geschehen muss, sei dahingestellt.
 
Zu Ihren kommunalpolitischen Fragen:
Zu 1. Sind Sie oder Ihre Partei für die Unterstützung und öffentliche Förderung eines Lesben-. und Schwulenzentrums in Wiesbaden, in dem kulturelle und soziale Belange erarbeitet werden können, denn homosexuelle Menschen sind ja auch SteuerzahlerInnen?
Lesben- und Schwulenzentren für selbst organisierte Hilfe zur Selbsthilfe, kompetente Beratung und Raum für eigene kulturelle Aktivitäten haben sich in anderen Kommunen bewährt. Deshalb stehen wir dieser Forderung ausgesprochen positiv gegenüber. Für ihre Realisierung reicht es jedoch nicht aus, städtische Gelder zu mobilisieren. Das Ganze steht und fällt letztlich mit der Fähigkeit der betroffenen Gruppen und Einzelpersonen sich unter einander zu verständigen und eine dauerhafte Arbeitsstruktur aufzubauen.
 
Zu 2. Sind Sie gegebenenfalls bereit, für die Durchführung eines Christopher-Street-Days in Wiesbaden öffentliche Unterstützung zu bewilligen?
Die Grünen werden einen vorliegenden Antrag gerne unterstützen.
 
Zu 3. Sind Sie für einen Gedenkstein, an dem der homosexuellen Opfer der deutschen Justiz (einschließlich der Opfer in der Nazi-Zeit) gedacht werden kann?
Mord, Verfolgung und Diskriminierung vernichten Existenzen. Das Leiden der hiervon Betroffenen ist nicht geringer, weil sie solches aus diesem oder jenen Grund hinnehmen mussten. Zum anderen sagt das Hölderlin-Zitat "dem Gleich fehlt die Trauer' zu Recht, dass man nicht alles über einen Kamm scheren darf.
Von daher erschiene uns eine Gleichsetzung der einmaligen Verbrechen des NS-Regimes mit späteren Rechtsverletzungen von Homosexuellen problematisch.
Zum anderen wäre aus demselben Grund ein eigener Gedenkstein für die schwulen und lesbischen Opfer des NS-Regimes unbedingt zu begrüßen.
Sollten Sie weitere Fragen und Anregungen haben, stehen wir Ihnen jederzeit gerne zur Verfügung.
 
Mit solidarischen Grüßen
 
gez. Stefan Burghardt gez. Dr. Tilli Reinhardt gez. Rosa M. Winheim
Fraktionsvorsitzender stellvertr. Fraktionsvorsitzende frauenpolitische Sprecherin
 
f.d.R. Georg Habs
Fraktionsgeschäftsführer
 Zu dieser Beantwortung unserer Fragen:
Nett, dass Bündnis90/DIE GRÜNEN uns doch noch geantwortet hat/haben.
Das bekundet, dass die fristgerechte Beantwortung unserer Fragen nicht aus politischem Desinteresse am Thema ausblieb, wie es ja auch aus dem Anschreiben hervorgeht.
Immerhin hat das Versäumnis ja nur Bü90/Grü. selber geschadet, denn unsere Fristsetzung ergab sich ja aus dem Redaktionsschluss unseres monatlichen Stadtblättchens, und unsere mögliche Veröffentlichung in der April-Ausgabe kann erst nach den Kommunalwahlen erfolgen.
 
Unser Wahlaufruf an unsere Szene ist nach Sichtung der Antworten auf unsere Fragen weiterhin zutreffend.
 
Wie bewerten wir nun die Antworten von Bü90/Grü. auf unsere Fragen?
 
1. allgemeine Fragen
Hier ging es uns um eine grundsätzliche Einschätzung der uns direkt betreffenden Bereiche der aktuellen Politik.
zur Antwort 1.1.: Sicher, die Grünen lehnen die Verfassungsklagen einzelner Bundesländer gegen die Verpartnerung homosexuelle Paare ab. Aber wie ist das zu bewerten? Dienten diese gescheiterten Verfassungsklagen nicht vielleicht dazu, zu demonstrieren, dass die Diskriminierung Hommosexueller der deutschen Verfassung entspricht?
zur Antwort 1.2.: Natürlich, das stimmt mit unserer Auffassung überein. Aber wie ist die Verfassungsklage Bayerns zu bewerten? Was steckt dahinter?
zur Antwort 1.3.: Die Einigung der Großen Koalition über das Anti-Diskriminierungsgesetz sieht vor, den von der Union so heftig bekämpften Passus über ein Diskriminierungsverbot Homosexueller zu streichen.
zur Antwort 1.4.: Diese Einschätzung stimmt mit unserer Einschätzung über die Funktion des CSDs überein. Darüber hinaus wird auch der scheinbar unpolitische CSD zunehmend zu einem Politikum, weil sich konservative Menschen an ihm reiben.
zur Antwort 1.5.: der §175 RStGB (später StGB) stammt aus dem Norddeutschen Bund und wurde bei Reichsgründung 1871 übernommen. Er galt in immer wieder veränderter Form bis 1994 und wurde erst bei der Rechtsangleichung zwischen der BRD und der DDR auch im Westen abgeschafft, weil es ihn in der DDR nicht mehr gab. Nur in 12 Jahren dieser langen Geschichte galt der 175 unter den Nazis. Die staatliche Schwulen- und in einigen Regionen und Zeiten auch Lesbenverfolgung ist jedoch noch viel Älter als der §175 RStGB und StGB, z.B. gab es nach der "Peinliche(n) Halsgerichtsordnung" von Kaiser Karl des V. seit 1532 im Artikel 116 die Todesstrafe durch Verbrennen für homosexuelle Menschen.
2. Fragen zur Kommunalpolitik
Mit welchen Stadträten und Parteien können wir für was rechnen?
zur Antwort 2.1.:
Diese Antwort ist richtig und realistisch, doch was die Gemeinde dazu beitragen kann ist, städtische Gelder zu Verfügung zu stellen, durch die ein Zentrum befähigt, seine Aufgaben zu erfüllen und seine Arbeit nicht von wirtschaftlichen Erwägungen abhängig machen muss.
zur Antwort 2.2.:
Nun liegt es an uns, eine Initiative zur Wiederbelebung des Wiebadener CSDs ins Leben zu rufen.
zur Antwort 2.3.: Uns geht es darum, die sehr lange Verfolgung homosexueller Menschen darzustellen und der Opfer zu gedenken, von den Opfern in der jungen Bundesrepublik leben noch viele und haben ihre bürgerliche Existenz verloren. Das Bundesverfassungsgericht verkündete 1951, der von den Nazis verschärfte §175 StGB sei mit dem Grundgesetz vereinbar. Der Bundesgerichtshof urteilte, er habe kein nationalsozialistisches Gedankengut.
In der jungen Bundesrepublik unter der damaligen CDU/CSU/FDP-Regierung wurden mehr Menschen mit dem §175 StGB verurteilt als in der ganzen Nazi-Zeit, freilich mit anderen Folgen. Ein Gedenkort für uns muss uns die Möglichkeit geben, auch z.B. der Opfer der staatlichen Verfolgung der Bundesrepublik Deutschland zu gedenken.
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